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Zartbitter-Handbuch gegen Missbrauch an Mädchen und Jungen.
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Vermutung oder Verdacht?

Zur Unterschiedlichkeit der Arbeitsaufträge von Schule/Jugendhilfe/Jugendverbandsarbeit und Strafverfolgungsbedhörden

Die Abklärung eines Verdachts körperlicher Gewalt oder sexueller Ausbeutung durch einen Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin einer Institution ist einzig und allein Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, die mit ihnen zur Verfügung stehenden kriminalistischen Methoden Verdachtsmomente entkräften bzw. als eindeutigen Beweis gerichtlich bewerten. Entsprechend dem Grundgesetz gilt in der strafrechtlichen Auseinandersetzung der Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Das heißt: Gerichte haben auch dann Angeklagte von dem Vorwurf sexuellen Missbrauchs freizusprechen, wenn Richter und Schöffen zwar persönlich von der Schuld des Angeklagten überzeugt sind, die objektive Beweislast jedoch für eine Verurteilung im Sinne des Strafgesetzbuches nicht zweifelsfrei ausreicht.
Aufgabe von Schule, Jugendhilfe und der Jugendverbände ist es, das Kindeswohl sicherzustellen und ihrer (arbeitsrechtlichen) Fürsorgepflicht für Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen gerecht zu werden. Maßstab der Bewertung des Verhaltens von pädagogische und nichtpädagogische Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen in Schule/Jugendhilfe sind die Standards fachlichen Handelns. Dementsprechend müssen Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe nicht erst tätig werden, wenn in den eigenen Einrichtungen Formen gesetzlich sanktionierten sexuellen Missbrauchs, psychischer oder körperliche Gewalt stattfinden: Sie müssen schon handeln, wenn pädagogische und nichtpädagogische Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen:
  • aufgrund eines grenzverletzenden Umgangs mit Kindern und Jugendlichen massiv gegen einen fachlich adäquaten Umgang von Nähe und Distanz verstoßen,

  • ihre Aufsichts- und Fürsorgepflicht gegenüber Mädchen und Jungen vernachlässigen und zum Beispiel bei sexueller, psychischer und körperlicher Gewalt zwischen Kindern und Jugendlichen nicht aktiv werden, um den Schutz der Opfer und potenzieller weiterer Opfer sicherzustellen,

  • bei Kenntnis einer Kindeswohlgefährdung nicht aktiv werden und nicht in Kooperation mit einer in Fällen von Gewalt durch pädagogische und nichtpädagogische Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen erfahrenen Fachkraft oder dem Jugendamt geeignete Hilfen für das Opfer sicherstellen.
Ebenso wie die Leitungskräfte der Schulen, Einrichtungen der Jugendhilfe und der Jugendverbände sind auch einzelne Pädagogen/Pädagoginnen in der Verantwortung, wenn diese Übergriffe oder Gewalthandlungen gegen oder unter Kindern und Jugendlichen mitbekommen. Sie sind gesetzlich verpflichtet (SGB VIII §8a), sich von einer erfahrenen Fachkraft beraten zu lassen, um das Risiko der Kindeswohlgefährdung abzuschätzen und gegebenenfalls in Kooperation mit Fachberatungsstellen und Jugendamt Maßnahmen zum Schutze der und der Hilfe für die Opfer zu initiieren. „Selbstverständlich müssen die erfahrenen Fachkräfte, die entsprechend der Norm bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos hinzugezogen werden sollen, nicht nur ein generelles Wissen im Kinderschutz, sondern auch Erfahrungen in Bezug auf den Missbrauch in Institutionen haben.“ (Wolff/Feuert 2006). Im Sinne eines sachlichen und fachlichen Umgangs bei Grenzverletzungen, Übergriffen und strafrechtlich relevanten Formen der Gewalt gegen Mädchen und Jungen durch pädagogische und nichtpädagogische Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen sollte innerhalb der Schule, der Jugendhilfe und der Jugendverbände grundsätzlich von einer „Vermutung“ und niemals von einem „Verdacht“ gesprochen werden. Die Verwendung des Begriffs „Verdacht“ führt häufig im konkreten Einzelfall zu einer Bagatellisierung der Fakten: In Sorge, sich einer Vorverurteilung bzw. Falschbeschuldigung eines Kollegen/einer Kollegin schuldig zu machen, werden bis zum heutigen Tage unter fachlichen Gesichtspunkten als eindeutig grenzverletzend einzustufende Handlungen und die Vernachlässigung des Schutzauftrages von Vorgesetzten und Kollegen häufig als Ausrutscher oder "nicht so gemeint“ bewertet und damit bagatellisiert.

Ursula Enders

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