Auch Eltern brauchen Unterstützung
Die Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung der Tochter/des Sohnes durch Dritte
bedeutet sowohl für Mütter als auch Väter immer eine extreme emotionale
Erschütterung. Der Täter (die Täterin) hat nicht nur dem Kind Schaden zugefügt,
sondern auch die Hoffnung der Eltern zerstört, ihrem Kind eine rundum
glückliche Kindheit zu ermöglichen. Die Konfrontation mit dem Leid ihrer Töchter und Söhne erschüttert das Grundvertrauen vieler Eltern. Es ist für sie unfassbar, dass dieser Mensch, den sie womöglich sympathisch fanden und in dessen Obhut sie ihr Kind gaben, in der Lage war, ihre Tochter/ihren Sohn so tief zu verletzen. Viele Eltern versuchen, sich die am Kind verübten Missbrauchshandlungen vorzustellen. Diese Fantasien, das Verständnis für die Tochter/den Sohn und das Miterleben der durch den Missbrauch bedingten Folgeproblematik des Opfers führen dazu, dass auch Mütter und Väter die Gefühle des Kindes durchleben und "übernehmen". Sie sind z.B. traurig, unruhig, gereizt, wütend oder leiden unter starken Stimmungsschwankungen. Ganz gleich, wem ein Mädchen/Junge die sexuelle Ausbeutung anvertraut hat, fast alle Mütter und Väter berichten, dass sie "immer mal wieder" die Realität anzweifeln, selbst wenn der Missbrauch zweifelsfrei bewiesen wurde. Sie haben den intensiven Wunsch, die schlimmen Erfahrungen einfach zu vergessen, nicht mehr daran erinnert zu werden. Während einige Mütter und Väter diesem Impuls nachgeben und "die Sache als erledigt erklären", verfallen manche ins andere Extrem und versuchen, ihre eigene Fassungslosigkeit durch eine ständige Überprüfung der Details zu überwinden: Sie stellen ihrem Kind immer wieder die gleichen Fragen, obgleich sie die Antworten darauf schon längst kennen. Das "ständige" Gespräch über das Verbrechen trägt dazu bei, dass sich weder Kinder noch Eltern erholen können. Viele Mütter und Väter können nicht mehr entspannen, entwickeln Ängste, Schlafstörungen und andere psychosomatische Beschwerden. Nicht wenige Eltern erleben den Missbrauch der Tochter/des Sohnes mit einer solchen Intensität, als ob ihnen selbst sexuelle Gewalt zugefügt worden wäre. In dieser Krisensituation werden oftmals Konflikte in der Paarbeziehung und/oder im Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis der Eltern deutlich. Kommt der Täter (die Täterin) aus dem sozialen Umfeld, so zeichnen sich oftmals Spaltungstendenzen ab – zwischen denen, die den Missbrauch glauben, und denen, die dem Mädchen/Jungen und den Eltern Verleumdung oder Hysterie unterstellen. Auch werden vielfach (bisher verdrängte) Gewalterfahrungen der Erwachsenen wieder lebendig: Psychische und körperliche Misshandlungen, sexuelle Gewalterfahrungen, Miterleben von (sexueller) Gewalt gegen Geschwister, Freunde, die Mutter. Nicht wenige Eltern – vor allem Väter – reagieren in ihrer Hilflosigkeit mit Wut auf das betroffene Kind: Ohne dass es ihnen selbst bewusst ist, machen sie dem Jungen/Mädchen zum Vorwurf, dass sie mit dem eigenen – verdrängten – Leid konfrontiert werden. Nicht selten erklären sie schon einige Wochen nach Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung des Kindes: "Jetzt muss es endlich mal gut sein!" Sie hoffen, damit die eigenen Ohnmachtgefühle wieder wegschieben zu können. Die aus den Missbrauchserfahrungen des Kindes resultierenden Folgen für die psychische Situation der Eltern werden noch einmal durch die mitunter sehr großen alltagspraktischen Belastungen verstärkt, die die Eltern zu bewältigen haben. Neben der Organisation zahlreicher Termine bei einer Beratungsstelle, dem Jugendamt, der Polizei, einer Rechtsanwältin, dem Weißen Ring (einer Organisation, die Opfer von Verbrechen unterstützt) müssen ggf. Gespräche mit Kindergarten und Schule geführt werden. Auch brauchen insbesondere sehr junge Opfer nach der Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs eine intensive Begleitung, um Schritt für Schritt wieder an Sicherheit zu gewinnen. Oft dreht sich der gesamte Familienalltag über einen längeren Zeitraum um die Bewältigung des sexuellen Missbrauchs. © Zartbitter e.V. |