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Missbrauch in Institutionen - Anzeigepflicht lässt Opfer verstummen

Mit großer Sorge verfolgt Zartbitter e.V. die Forderung der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die Kirche sollte alle Fälle sexuellen Missbrauchs den Strafverfolgungsbehörden melden. Das Anliegen, dass die Kirche die Fälle nicht kirchenintern abklären soll, ist richtig und unterstützenswert. Doch eine (Selbst-) Verpflichtung der Kirche zur Strafanzeige ließe viele Opfer verstummen. Diese brauchen ohnehin sehr viel Mut, sich Erwachsenen anzuvertrauen und fühlen sich nicht nur des Verrats gegenüber dem Täter, sondern auch gegenüber der Institution und den anderen Mädchen und Jungen schuldig. Wie sollen sie sich öffnen können, wenn durch die Verpflichtung zur Anzeige ihnen auch noch die „Schuld“ dafür aufgebürdet wird, dass der Täter entsprechend seiner Drohung wirklich ins Gefängnis kommt.

Mädchen und Jungen, die in Kirche und anderen Institutionen missbraucht werden, sind nach der Aufdeckung der ihnen zugefügten Gewalt „öffentliche Opfer“. Sobald der sexuelle Missbrauch öffentlich bekannt wird, kennzeichnet in fast allen Fällen eine tiefe Spaltung die institutionelle Dynamik. Die Opfer und ihre Familien erleben keineswegs nur Solidarität, sondern werden regelmäßig von anderen Kindern und den Erwachsenen der Verleumdung beschuldigt. Wiederholt beobachtete Zartbitter, dass Opfer von sexuellem Missbrauch in Institutionen besonders große Ängste vor Strafanzeigen haben. In diesen Fällen ist deshalb in besonderem Maße auf den Opferschutz zu achten.

Eine jugendliche Schülerin einer Ersatzschule berichtet einem Freund von sexuellen Missbrauchshandlungen durch ihren Lehrer. Dieser Freund vertraut sich einem Polizisten an, der ein Strafermittlungsverfahren einleitet. Als der Lehrer von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen erfährt, nutzt er die Datenbank eines der Schule angegliederten Vereins, um den Schülern aller Eltern in einen Brief mitzuteilen, dass gegen ihn zu Unrecht der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben wurde. In dem Brief nannte er die Schülerin namentlich.
Der Jugendliche und ihrer Familie wurden daraufhin von weiten Teilen der Schulgemeinschaft massive Vorwürfe gemacht.


Die Erfahrungen mit der Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden waren in der Vergangenheit keineswegs immer positiv:
  • Bis heute gibt es zum Beispiel in vielen Städten noch nicht einmal Sonderstaatsanwaltschaften für Fälle sexuellen Missbrauchs. Immer wieder werden Fälle unsachgemäß bearbeitet oder es werden sogar Fristen versäumt, so dass Täter nicht mehr im gesetzlich vorgegebenen Maße gerichtlich sanktioniert werden können – wie unlängst bei der Staatsanwaltschaft in Mönchengladbach.

  • Oftmals dauern die Ermittlungsverfahren zwei Jahre und länger, in denen laut Anraten vieler Mitarbeiter der Strafverfolungsbehörden die Opfer nicht therapeutisch behandelt werden sollen, um die Aussagefähigkeit der Kinder vor Gericht nicht negativ zu beeinflussen. das bedeutet, dass viele Mädchen und Jungen mangels einer rechtzeitigen Beratung oder Therapie massive Folgeproblematiken entwickeln.

Die Bundesjustizministerin würde einen verdienstvollen Beitrag im Sinne der Opfer leisten, wenn sie engagiert für eine opfergerechte Arbeitsweise der Strafverfolgungsbehörden eintreten würde.

Am 1.10.05 trat das Kinder- und Jugendhilfeerweiterungsgesetz in Kraft, das in ausreichendem Maße gesetzlichen Regelungen festschreibt, um in Fällen von sexuellem Missbrauch eine für das Kindeswohl notwendige Kooperation der Institutionen und somit auch der Kirche mit staatlichen Stellen sicherzustellen. Der in diesem Gesetzt festgeschriebene Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung (SBG VIII §8a) verpflichtet alle Institutionen mit hauptamtlichen Mitarbeitern in Fällen von Kindeswohlgefährdung – auch bei sexuellem Missbrauch – mit den Jugendämtern oder Fachstellen zu kooperieren. Dies sollte auch für die Kirchen gelten.

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