25 Jahre Zartbitter - Was hat sich geändert?
Wie alles begann...
Als im Jahre 1987 Zartbitter e.V. gegründet wurde, sahen sich die
Gründerinnen und Gründer des Vereins mit vielen Vorurteilen
konfrontiert. Sie wurden von weiten Teilen der Öffentlichkeit und
Politik als Hysterikerinnen und Radikalfeministinnen abgestempelt, die
angeblich die Problematik der sexuellen Ausbeutung maßlos übertrieben -
eine kaum nachzuvollziehende Argumentation, zumal bei Zartbitter von
Anfang an Männer mitarbeiteten und auch Jungen als Opfer und Frauen als
Täterinnen zum Thema gemacht wurden. Zunächst hatte sich der Verein die
Vernetzung von Fachkräften psychosozialer Arbeitsfelder und den Aufbau
eines Fortbildungsangebotes über Möglichkeiten der Prävention und
Intervention bei sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen zur
Aufgabe gemacht, doch es sollte anders kommen: Das Komitee für
Menschenrechte veranstaltete Ende der Achtzigerjahre in der Stadthalle
Köln-Mühlheim einen Kongress gegen sexuellen Missbrauch, zu dem
engagierte Frauen und einige wenige Männer aus dem gesamten Bundesgebiet
angereist waren. Zartbitter nutzte das Forum, um auf die eigenen
Aktivitäten aufmerksam zu machen. Der Kongress fand in den Medien ein
relativ großes Echo. Der WDR berichtete u.a. über Zartbitter und gab Ort
und Termin des nächsten Fachgruppentreffens bekannt. Als dieses einige
Tage später stattfand, war der Raum überfüllt: Neunzehn betroffene
Frauen quetschten sich in den relativ kleinen Raum. Die
Berichterstattung hatte sie ermutigt, sich auf den Weg zu machen. Die
mutigen Frauen hatten mit ihren Füßen ein klare Entscheidung getroffen:
Von diesem Tag an verstand sich Zartbitter auch als Kontaktstelle und
Informationsstelle für Betroffene. Zunächst meldeten sich vor allem betroffene Frauen, dann viele Mütter, die ihre Kinder schützen wollten. Ende 1989 mietete Zartbitter eigene Beratungsräume an. Im Januar 1990 erschien das Handbuch "Zart war ich, bitter war's". Mit der Herausgabe dieses Longsellers wurde Zartbitter zur Zielscheibe der Pädosexuellenbewegung und missbrauchender Väter. Vor der Haustüre der Kontakt- und Informationsstelle fand z.B. Anfang der Neunzigerjahre eine Demonstration gegen einen angeblichen "Kinderklau" durch Zartbitter statt - in Fällen, die niemals von Zartbitter beraten wurden. Unter den Demonstranten waren auch Verwandte eines Erziehers, der einige Monate später rechtskräftig zu einer hohen Freiheitsstrafe wegen eines sehr sadistischen Missbrauchs in einer pädagogischen Einrichtung verurteilt wurde. Zu dieser Zeit begleitete Zartbitter unter anderem die ersten kindlichen Opfer, die im Rahmen von professionellen Pornoproduktionen und satanischen Ritualen vergewaltigt und gefoltert wurden. Mit Morddrohungen, Psychoterror und körperlichen Bedrohungen versuchte "man" Zartbitter in die Knie zu zwingen. Mit der Problematik der sexuellen Ausbeutung in Institutionen war Zartbitter zum ersten Mal kurz nach Erscheinen des Handbuches "Zart war ich, bitter war's" konfrontiert. In einer Kölner Kita hatte ein Erzieher gemeinsam mit seinen Kolleginnen Mädchen und Jungen missbraucht. Missbrauch in Kindertagesstätten sollte in den folgenden Jahren aufgrund mehrerer Beratungsanfragen zu einem Schwerpunktthema der Kontakt- und Informationsstelle werden. In diesem Zusammenhang versuchte nun der Spiegel die Kölner Fachstelle zu diffamieren. Leider hatte in den Achtzigerjahren eine Beratungsstelle in Coesfeld trotz des Protestes von Zartbitter sich ebenso Zartbitter genannt - quasi den Namen "geklaut". Die Coesfelder Initiative wurde in einen Skandal um einen Missbrauchsfall in einer Kindertagesstätte verwickelt, dieser wiederum vom Spiegel wider besseren Wissens auch Zartbitter Köln angelastet. So hatte Zartbitter Köln viele Jahre gegen durch den Spiegel verbreitete Verleumdungen anzukämpfen. 1995 wurde in der überarbeiteten Neuauflage von "Zart war ich, bitter war's" die Vernetzung von willigen und unwilligen Helfern der Pädosexuellenbewegung in Wissenschaftskreisen veröffentlicht, die z. B. in ihren Publikationen das Recht von Kindern auf Sexualität mit Erwachsenen ab dem 7. Lebensjahr forderten. Auf zivilrechtlichem Weg versuchten mehrere Wissenschaftler das Zartbitter-Handbuch vom Markt zu bekommen. Die rechtlichen Auseinandersetzungen liefen über mehrere Jahre und endeten mit einem Erfolg für Zartbitter. In seiner Urteilsbegründung erklärte das Landgericht Köln, dass man der Herausgeberin Ursula Enders keinen Vorwurf machen könne, denn sie habe lediglich getan, was die Pflicht eines jeden Bürgers sei: Sie habe sich für den Schutz von Kindern eingesetzt. In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre meldeten sich verstärkt betroffene Männer bei Zartbitter. Sie waren durch die öffentliche Parteinahme von Roger Moore für männliche Opfer und den Bericht von Carlos Santana über eigene Missbrauchserfahrungen ermutigt worden, sich Unterstützung bei der Verarbeitung ihrer Kindheitserfahrungen zu suchen. Damals gründete sich die Selbsthilfeinitiative Horus, in der bis heute betroffene Männer ihre schmerzhaften Erfahrungen aufarbeiten und die eng mit Zartbitter kooperiert. Die Belastungen der ersten Jahre hat Zartbitter nicht zuletzt dank einer breiten Solidarität in der Kölner Bevölkerung durchgestanden, die es schätzt, wenn Dinge offen und mit der notwendigen Ernsthaftigkeit beim Namen benannt werden und man trotzdem nicht im Schmerz versinkt. Insbesondere die lebensfrohe und kreative Präventionsarbeit von Zartbitter wird nicht nur in Köln, sondern auch überregional von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angenommen. Dieser Erfolg ist nicht zuletzt der Kölner Illustratorin Dorothee Wolters, dem Regisseur Hans Kieseier und insbesondere auch dem Dipl. Psychologen Eckhard Pieper zu verdanken, der den Kölnern weniger als hauptamtlicher Mitarbeiter bei Zartbitter, sondern eher als Sänger und Gitarrist von Köbes Underground, der Hausband der Stunksitzung, bekannt ist. Zartbitter heute Zartbitter Köln ist heute eine überregional bekannte Fachstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, die nicht nur aufgrund ihrer innovativen Arbeit in Fachkreisen wahrgenommen, sondern ebenso von der Öffentlichkeit gehört wird. Als vor fast zwei Jahren in Berlin von der Bundesregierung die Vertreter der Organisationen, die zum Tatort geworden waren, zum Runden Tisch eingeladen und die ExpertInnen der Fachstellen gegen sexualisierte Gewalt mehr oder weniger von der Diskussion ausgeschlossen wurden, beschloss Zartbitter, die Zeit zu nutzen, um die gewonnen Erfahrungen in mehr als 20 Jahren Arbeit gegen sexuelle Ausbeutung in Institutionen auszuwerten. Sie sollten sowohl Müttern und Vätern als auch Fachkräften und Institutionen zur Verfügung gestellt werden. Mit dem Erscheinen von "Grenzen achten! Schutz vor Missbrauch in Institutionen" wurde dieses Ziel nun realisiert. Wir hoffen, dass das Handbuch für die Praxis zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen von Mädchen und Jungen beiträgt. Als Vertreterin der Fachstellen gegen sexualisierte Gewalt im Fachbeirat des Unabhängigen Beauftragten zu Fragen des sexuellen Missbrauchs wird Ursula Enders sich in den nächsten zwei Jahren sehr entschieden für das Recht von kindlichen und jugendlichen Opfern auf Hilfe einsetzen. Bis heute wird vom Gesetzgeber die Hilfe für Opfer als freiwillige Leistung der Jugendhilfe bewertet. Sicherlich ist in den letzten Jahren das öffentliche Bewusstsein für die Problematik der sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen gewachsen, doch hat sich im Alltag noch nicht viel geändert. Wie wenig sich die Gesellschaft ihrer Verantwortung für den Schutz von Mädchen und Jungen vor sexueller Ausbeutung stellt, wird zum Beispiel daran deutlich, dass trotz aller Diskussionen an und um den Runden Tisch herum, trotz der Finanzierung kostenintensiver Forschungsprojekte, die Arbeit der meisten Fachstellen gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen nachwievor völlig unzureichend abgesichert ist - auch die von Zartbitter. Noch immer bereitet es uns MitarbeiterInnen von Zartbitter richtig Sorgen, wenn z.B. wie gerade in der letzten Woche die Dieselpumpe unseres Theaterbusses defekt ist und wir nicht wissen, woher die 1000.- € für die Reparatur zu nehmen sind. Das Finanzierungsdefizit wird beispielsweise daran deutlich, dass noch nicht einmal die 16-Stundenstelle der Mitarbeiterin öffentlich gefördert wird, die Präventionsveranstaltungen mit durchschnittlich 50 000 - 80 000 Kindern pro Jahr organisiert. Dabei geht es Zartbitter noch vergleichsweise gut. Zum Beispiel wird die Beratungsarbeit von Tauwetter, der bekanntesten der wenigen Beratungsstellen für betroffene Männer, bis heute mit keinem Cent öffentlich gefördert. |