Sexueller Missbrauch durch jugendliche Täter im Ferienlager auf Ameland – kein Einzelfall!
In den ersten Wochen der Sommerferien
klingelt bei Zartbitter, Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen
Missbrauch nur selten das Telefon. Die Beraterinnen und Berater haben endlich
Zeit, liegengebliebene Post zu bearbeiten, Berichte zu schreiben und neue
Projekte vorzubereiten. Doch meist ist in der dritten Ferienwoche die Ruhe
wieder vorbei. Die Erfahrung der letzten 20 Jahre zeigt, dass sich spätestens
in der zweiten Ferienhälfte Mädchen und Jungen melden, die in Ferienlagern von
Sportvereinen, Jugendverbänden oder Pfarrgemeinden oder auf kommerziellen
Ferienreisen sexuelle Übergriffe oder strafrechtlich relevante Formen sexueller
Gewalt erlebten. Beispiele aus der Praxis von Zartbitter: • Der verheiratete Diakon einer Pfarrgemeinde nötigt eine weibliche Jugendliche während der Ferienfreizeit zu sexuellen Handlungen. Trotz des klaren NEINs der jungen Frau, bedrängt er auf sehr massive Art und Weise auch nach der Freizeit weiterhin die Jugendliche – u. a. per SMS, so dass sie selbst in ihren Elternhaus vor seinen Nachstellungen nicht sicher ist.
Die nun bekannt gewordene sexuelle Gewalt unter Jugendlichen im Ferienlager des Stadtsportverbandes Osnabrück ist keineswegs ein Einzelfall. Den Mitarbeiter/innen der Beratungsstelle Zartbitter, die sich seit 20 Jahren auf Hilfen für Opfer bei sexueller Gewalt in Institutionen spezialisiert hat, sind auch die im Amelander Fall bekannt gewordenen sadistischen und extrem demütigenden Formen sexualisierter Gewalt unter Jugendlichen leider nicht fremd. Der aktuelle Fall ist in mehrfacher Hinsicht „typisch“:
Im aktuellen Fall der sexuellen Gewalt durch jugendliche Jungen im Ferienlager sind ebenso zurückliegende sexuelle Übergriffe oder Demütigungen - zum Beispiel durch rüde Trainingsmethoden - durch Erwachsene nicht auszuschließen. Falls sich bestätigen sollte, dass Kinder erwachsene Betreuer um Hilfe baten und diese nicht bekamen, stellt sich die Frage, ob eine solche unterlassene Hilfeleistung nur mit Bequemlichkeit, Verantwortungslosigkeit, Überforderung und Ignoranz zu erklären ist oder auch noch andere Ursachen hat.
Während in anderen Bereichen das öffentliche Bewusstsein gegenüber der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen gewachsen ist, ist der Missbrauch von Jungen und Mädchen im Sport bis zum heutigen Tage ein Tabuthema. Sicherlich: auch betroffene Jungen und ihre Eltern suchen immer häufiger Beratungsstellen auf und bitten um Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen der belastenden Missbrauchserfahrungen, doch viele Sportvereine setzen sich mit der Problematik noch immer nicht auseinander. Mit Entsetzen muss Zartbitter feststellen, dass auch heute noch die meisten Sportvereine den Schutz von Jungen und Mädchen vernachlässigen, die Aussagen der Opfer anzweifeln und sich häufig auf die Seite von Tätern stellen, in dem sie "die Angelegenheit unter den Teppich kehren". Nach dem Motto "Nur keine schlafenden Hunde wecken" oder den Ruf des Vereins beschädigen, meinen viele Vereinsvorstände, sexueller Missbrauch würde erst dadurch zum Problem, dass er im konkreten Fall benannt wird. Dabei übersehen die meisten Sportfunktionäre, dass Missbrauch im Sport vor allem dann zum Problem wird, wenn über die Problematik geschwiegen und keine Präventionsarbeit geleistet wird. Solange die Sportwelt schweigt, behält der Sportbereich seine Funktion als "Mistbeet für Täter", in dem diese ohne großes Risiko Jungen und Mädchen missbrauchen können. Und werden ausnahmsweise mal einzelne Taten bekannt, so wechseln die Täter meist ohne große Probleme zum nächsten Verein. |