Wie Institutionen sich vor Missbrauch in den eigenen Reihen
schützen können!
Seit Anfang der 90er Jahre arbeitet Zartbitter
schwerpunktmäßig zur sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen in
Institutionen. Zartbitter hat nicht nur Konzepte der institutionellen
Aufarbeitung von Missbrauch in Schulen, Vereinen, Kindertagesstätten, Heimen,
Pfarrgemeinden, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen … entwickelt,
sondern ebenso Konzepte der Implementierung präventiver Strukturen in
Institutionen.
Die Erfahrungen von Zartbitter in der Beratung von
Betroffenen, der Begleitung von Institutionen bei der Aufarbeitung von
Missbrauch in den eigenen Reihen und der Supervision von Fachkräften bestätigen
immer wieder, dass Täter und Täterinnen sich gezielt für eine Mitarbeit in
Institutionen entscheiden, in denen aufgrund struktureller Defizite für sie ein
geringes Risiko besteht, dass ihre Taten aufgedeckt werden.
Ein besonders hohes Risiko zum Tatort sexueller Ausbeutung
von Mädchen und Jungen zu werden haben Institutionen mit autoritären
Leitungsstrukturen, denn in diesen Einrichtungen werden Entscheidungen weniger
aus fachlichen Erwägungen, sondern „eher von oben“ im Interesse der eigenen
Machtposition getroffen. Die durch autoritäre Strukturen bedingten fachlichen
und persönlichen Abhängigkeiten nutzen Täter/Täterinnen zum eigenen Vorteil und
bauen „Seilschaften“ auf und
„erarbeiten“ sich zum Beispiel das Wohlwollen der Einrichtungsleitung, indem
sie sich unentbehrlich machen.
Ebenso laufen Täter/Täterinnen in „verwahrlosten“
Einrichtungen und in Einrichtungen mit einem Leitungsvakuum kaum Gefahr, als
Täter erkannt und benannt zu werden.
Geschickt nutzen sie zum Beispiel diffuse Strukturen, um Intrigen zwischen
Kollegen und Elternschaft und innerhalb der Kindergruppe zu säen, sich eine
heimliche Machtposition zu sichern und kritische Kollegen/Kolleginnen bzw.
Eltern zu mobben.
Besondere Risiken eines sexuellen Missbrauchs bestehen u. a.
in Institutionen:
- in denen eine rigide Sexualerziehung das Gespräch über
Sexualität und somit auch über erlebte sexuelle Grenzverletzungen erschwert
(Beispiel: katholische Kirche),
- in denen ein „allzu lockerer“ Umgang mit Sexualität die
Achtung der Grenzen zwischen den Generationen und somit den Schutz der Kinder
und Jugendlichen vernachlässigt (Beispiel: Odenwaldschule),
- die einen besonders guten Ruf zu verlieren haben (Beispiel:
Leistungssport).
Weniger Möglichkeiten der sexuellen Ausbeutung von Kindern bestehen in klar strukturierten
Einrichtungen mit niedriger Hierarchie und transparenten Leitungsstrukturen. In
diesen Einrichtungen werden Entscheidungen in der Regel auf der Basis eines
fachlichen Dialogs getroffen und der Umgang mit Nähe und Distanz im Team
reflektiert. Somit bieten sie die Voraussetzungen, um eine „Kultur der
Grenzachtung“ zu etablieren.
Damit Institutionen kein Mistbeet für Täter werden ….
In den meisten Fällen sexueller Ausbeutung von Mädchen und
Jungen in Institutionen beschreiben zumindest einige Mütter und Väter, Kolleginnen
und Kollegen, dass sie „immer schon so ein komisches Gefühl“ gehabt hätten,
jedoch keinen falschen Verdacht hätten aussprechen wollen. Es ist sicherlich
nur fair und korrekt, nicht aufgrund der Beobachtung eines grenzverletzenden
Verhaltens einen Menschen des sexuellen Missbrauchs zu verdächtigen. Doch
ebenso korrekt und kein Verrat ist es, grenzverletzende Verhaltensweisen von
Kollegen und Kolleginnen im Team zu verbalisieren bzw. im Gespräch mit anderen
Eltern die eigene Beobachtung sachlich zu benennen und/oder sich die
Unterstützung einer Beratungsstelle zu holen, um abzuklären, wann und bei wem
man die eigene Beobachtung benennt.
Ebenso wie ein gesundes Misstrauen die Widerstandskraft von Mädchen und
Jungen gegenüber Grenzverletzungen stärkt, sollten sich Mütter und Väter ein
gesundes Misstrauen erhalten, wenn sie zum Beispiel beobachten, dass ein
Pädagoge einem Mädchen oder Jungen übergroße Geschenke macht oder nicht nur
seine Arbeitszeit, sondern auch seine gesamte Freizeit und den Urlaub mit Kindern
und Jugendlichen verbringt. Vor allem aber sollten sich alle Erwachsenen für
die Entwicklung präventiver Strukturen in Institutionen einsetzen. Den Schutz
von Mädchen und Jungen fördern:
- klare institutionelle Regeln, die in der Haus-/Schulordnung
festgeschrieben und allen Mitgliedern der Institution ausgehändigt werden (zum
Beispiel: „Niemand darf dir mit Worten, Taten, Blicken und Bildern Angst machen
oder dir weh tun!“ oder: „Niemand darf dich gegen deinen Willen berühren!“)
- die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen bei der
Erstellung des Regelwerkes. (Recht auf Partizipation)
- ein Beschwerdemanagement das nicht nur interne
Ansprechpartner, sondern ebenso auf externe Ansprechpartner verweist, an die
sich Kinder und Jugendliche sowie Mitarbeiter/innen im Falle von Grenzverletzungen
wenden können,
- regelmäßige Präventionsangebote für Mädchen und Jungen,
Mütter und Väter,
- regelmäßige Fortbildungen und Informationsveranstaltungen
für ehren- und hautamtliche MitarbeiterInnen über die Strategien der Täter, Möglichkeiten
der Prävention und Hilfen für die Opfer,
- klare Dienstvorschriften für einen respektvollen Umgang mit
Nähe und Distanz (z. B. auch eine der Tätigkeit angemessene nicht
sexualisierende Kleidung der Pädagogen/Pädagoginnen, keine gemeinsamen Zimmer
mit Kindern und Jugendlichen auf Fahrten oder in Trainingslagern),
- klare Verfahrensregeln in Fällen von sexuellen
Grenzverletzungen durch ehren- oder hauptamtliche Mitarbeiter/innen
- Thematisierung der Problematik der sexuellen Ausbeutung von
Kindern und der Präventionsmaßnahmen der Institution im Bewerbungsverfahren bei
der Auswahl neuer Mitarbeiter/innen.
Die Verantwortung für den Schutz von Mädchen und Jungen tragen
die Erwachsenen
Nachdem zahlreiche Fälle sexueller Ausbeutung von Mädchen
und Jungen in kirchlichen Einrichtungen und in Internaten öffentlich wurden,
kommt häufig die Frage auf, wie Kinder besser NEIN-Sagen lernen können. Eine
solche Fragestellung übersieht, dass auch in der Vergangenheit Mädchen und
Jungen schon immer auf die ihnen jeweils eigene Art NEIN gesagt haben: Opfer
haben sich steif gemacht, mehrere Kleidungsstücke übereinander angezogen, sind
weggelaufen … oder haben sich angepasst - scheinbar einfach mitgemacht - ,
damit „alles“ schnell vorüber war. Auch das ist ein NEIN. In der
Ohnmachtssituation hat es ihnen die
Sprache verschlagen und sie haben kein Wort rausbekommen. Viele betroffene
Kinder leiden unter Schuldgefühlen – vor allem dann, wenn ihnen zuvor von
Eltern und Pädagogen eingetrichtert wurde, dass sie NEIN sagen sollen.
Fast immer geben kindliche und jugendliche Opfer sexueller Gewalt Hinweise auf ihre
Gewalterfahrungen, doch die Erwachsenen verstehen diese nicht oder tun die
Andeutungen des Kindes mit beschwichtigenden Worten ab: „Der meint das doch
nicht so!“ … „Das hast du bestimmt geträumt!“ … „Warum verbreitest du solche
Lügen!“. Nicht selten „überprüfen“ Institutionen die Aussagen betroffener Mädchen und Jungen,
indem sie von diesen verlangen, dass sie
ihre Anschuldigungen in Anwesenheit des Täters/der Täterin wiederholen sollen. Oftmals
nehmen Opfer im Rahmen einer solchen Konfrontation ihre Aussagen aus Angst vor
dem Täter zurück.
Erwachsene sind für den Schutz von Mädchen und Jungen
verantwortlich. Im Fokus der Präventionsarbeit sollte deshalb die Information
und Schulung von Müttern und Vätern, Pädagoginnen und Pädagogen stehen, damit
diese in Zukunft die Hinweise auf die sexuelle Ausbeutung von Mädchen und
Jungen wahrnehmen und die Opfer schützen.
In dem Text „Prävention von sexuellem Missbrauch in
Institutionen“ von Ursula Enders werden ausführlich Bausteine präventiver
institutioneller Strukturen mit Praxisbeispielen beschrieben.
Köln 16.04.2010
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