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Welche Kinder werden missbraucht?

Welche Kinder und Jugendlichen haben ein besonderes Risiko, missbraucht zu werden?

Zwei Drittel der Opfer sexueller Gewalt sind Mädchen, ein Drittel Jungen. Mädchen werden häufiger als Jungen missbraucht, da sie unter dem Motto "Du bist doch kein Junge!" von klein auf "typisch weibliche" Werte vermittelt bekommen – sie sollen möglichst brav sein, sich anpassen können und Verständnis für andere entwickeln. Die wenigsten Mütter und Väter sind stolz darauf, wenn ihre Töchter kratzbürstig und rotzfrech ihre Interessen vertreten und sich gegen sexuelle Grenzverletzungen – auch durch Erwachsene – wehren. Wie oft hören Mädchen z.B. auch heute noch: "Das hättest du doch auch in einem anderen Ton sagen können; der hat das doch nur lieb gemeint!" Durch diese geschlechtsspezifische Erziehung wird die Widerstandsfähigkeit geschwächt, werden Mädchen zu Opfern erzogen.
Jungen haben eine andere geschlechtsspezifische Benachteiligung: Ihnen wird unter dem Motto "Ein Junge weint doch nicht!" bzw. "Ein Indianer kennt keinen Schmerz!" vermittelt, dass sie Schmerzen nicht spüren und nicht zeigen sollen. So fällt es sexuell missbrauchten Jungen besonders schwer, sich jemandem anzuvertrauen und sich Hilfe zu holen. Oft bleiben sie in ihrer Not allein.

Am häufigsten betroffen sind Kinder im Kindergarten und Grundschulalter, doch auch schon Säuglinge und Kleinkinder werden sexuell missbraucht. Täter und Täterinnen gehen davon aus, dass sie bei sehr jungen Opfern kaum riskieren, dass die von ihnen verübten Verbrechen von Dritten erkannt werden.

Neben einer geschlechtsspezifischen Erziehung und dem Alter gibt es weitere unbestreitbare Zusammenhänge zwischen der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen und ihrem Risiko, Opfer sexueller Ausbeutung zu werden. Täter und Täterinnen haben die besondere Fähigkeit, verletzliche Kinder, die sich kaum wehren können, zu erkennen und eben diese Verletzlichkeit zu nutzen, um sie leichter sexuell ausbeuten zu können.

Besonders gefährdet, Opfer sexueller Ausbeutung zu werden, sind:
  • Mädchen und Jungen, in deren Familien und Schulen kaum über das Thema Sexualität gesprochen wird und Selbstbefriedigung als verboten gilt.
    Unzureichend aufgeklärte Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihrer vielen unbeantworteten Fragen leichter von Tätern und Täterinnen unter dem Vorwand "Ich klär dich mal auf!" verführbar. Sie können die Anfänge des sexuellen Missbrauchs nur schwer erkennen. Auch können unzureichend aufgeklärte Mädchen und Jungen noch weniger über erlebte sexuelle Grenzverletzungen sprechen und sich Hilfe holen, als Kinder und Jugendliche, die von ihren Müttern und Vätern, Pädagoginnen und Pädagogen offen über Sexualität aufgeklärt wurden.

  • Mädchen und Jungen, denen unter dem Motto "Geh nie mit einem Fremden mit!" Angst gemacht wurde.
    Warnungen vor dem "bösen schwarzen Mann" machen Kindern Angst und schwächen ihr Selbstbewusstsein und ihre Widerstandskraft gegenüber sexuellen Grenzverletzungen. Ängstliche Mädchen und Jungen erstarren in Gefahrensituationen leicht vor Schreck, können dementsprechend noch nicht einmal weglaufen, sich schlechter gegenüber sexuellen Übergriffen abgrenzen und kommen häufig nicht auf die Idee, sich Hilfe zu holen.

  • Traditionell erzogene Mädchen und Jungen, die gelernt haben, dass sie Erwachsenen nicht widersprechen sollen.
    Ein Kind, dem von klein auf beigebracht wurde, dass es brav sein und vor allem Erwachsenen gehorchen soll, wagt es kaum, NEIN zu sagen, wenn ein Hausfreund der Eltern es auffordert, sein Glied anzufassen oder sich zu entkleiden.
    Andere Mädchen und Jungen treibt eine strenge Erziehung regelrecht zum Widerspruch: Wenn alles, was angenehm und schön ist, immer verboten und unartig geheißen wird, dann kommt es leicht zur Umkehrung: Was verboten ist, muss schön sein. Eine solche Protesthaltung können Täter und Täterinnen leicht nutzen.

  • Mädchen und Jungen, die in einem gewalttätigen Familienklima aufwachsen.
    Kinder und Jugendliche haben ein besonderes Risiko missbraucht zu werden, wenn sie z.B. körperlich misshandelt oder durch Schläge und Ohrfeigen gedemütigt wurden bzw. miterlebten, wie gegen andere Familienmitglieder körperliche Gewalt verübt wurde (z.B. dass Mutter oder Geschwister vom Vater geschlagen wurde). Ein solches Gewaltklima führt zu einer grundsätzlichen Einschüchterung des Kindes – das Mädchen/der Junge wird damit leichter ausbeutbar.

  • Emotional vernachlässigte Mädchen und Jungen.
    Emotional bedürftige Kinder und Jugendliche gehen leichter Tätern und Täterinnen auf den Leim. Diese nutzen die Sehnsucht der Mädchen und Jungen nach Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit. Zu dieser Gruppe gehören auch die sogenannten Wohlstandswaisen, die zwar Kinderzimmer voller Spielsachen und reichlich Taschengeld haben, deren Eltern jedoch kaum etwas mit ihnen unternehmen und/oder für die Nöte und schönen Erlebnisse ihrer Töchter und Söhne kaum Anteilnahme zeigen. Oft wirken diese Familien nach außen wie perfekte Familien. Manchmal scheint es sogar so, als ob die Mütter und Väter besonders viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Doch wenn man genauer hinschaut fällt auf, dass sie die Mädchen und Jungen nur entsprechend ihrer eigenen Interessen verplanen und z.B. mit zu Skifahren nehmen, wenn dies ihr eigenes Hobby ist – ganz gleich ob das Kind gerne Ski fährt oder nicht.

  • Mädchen und Jungen mit einem Mangel an positiven männlichen Bezugspersonen. Diese "Gruppe der vaterlosen Kinder" ist keinesfalls gleichzusetzen mit der Gruppe der Töchter und Söhne von Alleinerziehenden, die oftmals eine enge Bindung zu einem sozialen Vater haben.
    Zur "Gruppe der vaterlosen Kinder" gehören jedoch die Töchter und Söhne der so genannten "Weg-Männer", die oftmals der Karriere zuliebe ihre Präsenz als Vater auf das Zeitungslesen am Frühstückstisch und die Organisation des gemeinsamen Ausflugs am Wochenende beschränken.

  • Sehr junge Kinder (bis ca. 4 Jahre). Kleine Mädchen und Jungen sind aus Tätersicht relativ "sichere Opfer", denn diesen wird von Dritten – auch von Gerichten – noch weniger geglaubt als Kindern, die schon älter sind.

  • Mädchen und Jungen, die zuvor sexuell missbraucht wurden und deren Widerstandskraft mangels Unterstützung bei der Bewältigung der Gewalterfahrungen besonders geschwächt ist.

  • Mädchen und Jungen, die in Armut leben. Arme Kinder sind aufgrund der materiellen Not leichter durch materielle Zuwendungen und eine attraktive Freizeitgestaltung zu verführen.

  • Mädchen und Jungen mit Behinderungen.
    Bei Mädchen und Jungen mit Behinderungen können Täter (Täterinnen) die von ihnen verübte sexuelle Ausbeutung leicht als Pflege tarnen. Auch sind einige Opfer aufgrund ihrer Behinderung in ihren sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten eingeschränkt und können die eigenen Gewalterfahrungen kaum artikulieren (z.B. Mädchen und Jungen mit Sprachbehinderungen und geistiger Behinderung).
    Nicht nur von Gerichten, sondern auch von Müttern, Vätern und vielen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten Menschen mit Behinderungen betreuen, wird bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen das Folgeverhalten sexueller Gewalterfahrungen oftmals nicht als solches erkannt und/oder falsch interpretiert. So wird z.B. das sexualisierte Verhalten von Opfern sexueller Ausbeutung mit geistiger Behinderung meist als behinderungstypische Verhaltensweise (ausgeprägte Aufnahme von Körperkontakt) eingeordnet und/oder fälschlicherweise als Ausdruck einer aktiven Beteiligung des Opfers bewertet.
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