Grenzverletzungen
sind alle Verhaltensweisen gegenüber Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen, die deren persönlichen Grenzen im Kontext eines Versorgungs-,
Ausbildungs- oder
Betreuungsverhältnisses überschreiten. Sie verletzen die Grenzen zwischen den Generationen, den Geschlechtern und/oder einzelnen
Personen. Verübt werden Grenzverletzungen sowohl von erwachsenen Frauen,
Männern und Jugendlichen, die mit Betreuungs- oder Versorgungsaufgaben
beauftragt wurden (zum Beispiel auch Hausmeister oder Begleitungen auf
Klassenfahrten), als auch von gleichaltrigen oder älteren Kindern, Jugendlichen
und jungen Erwachsenen.
Im
Sinne eines fachlich fundierten Umgangs mit grenzverletzendem Verhalten im
pädagogischen Alltag mit Mädchen und Jungen, jungen Frauen und Männern
empfiehlt sich eine Differenzierung zwischen:
- Grenzverletzungen,
die unabsichtlich verübt werden und/oder aus fachlichen bzw. persönlichen
Unzulänglichkeiten oder einer „Kultur der Grenzverletzungen“ resultieren,
-
Übergriffe, die Ausdruck eines unzureichenden Respekts gegenüber Mädchen und Jungen,
grundlegender fachlicher Mängel und/oder einer gezielten Desensibilisierung im
Rahmen der Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs/eines Machtmissbrauchs
sind,
- strafrechtlich
relevante Formen der Gewalt (wie zum Beispiel körperliche Gewalt, sexueller
Missbrauch, Erpressung/(sexuelle) Nötigung).
Grenzverletzungen (1)((1) Angaben über Formen von Grenzverletzungen und Übergriffen, die sich ausschließlich auf Jugendliche beziehen sind mit *, die sich ausschließlich auf Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter beziehen mit ** gekennzeichnet.)
Maßstab der
Bewertung eines Verhaltens als grenzverletzend sind nicht nur objektive Faktoren,
sondern ebenso das jeweils subjektive Erleben eines Mädchens/Jungen.
Im
pädagogischen Alltag sind Grenzüberschreitungen nicht ganz zu vermeiden.
Zufällige und unbeabsichtigte Grenzverletzungen (zum Beispiel eine
unbeabsichtigte Berührung oder Kränkung durch eine als verletzend erlebte
Bemerkung) sind im alltäglichen Miteinander korrigierbar, wenn die
grenzverletzende Person dem Gegenüber mit einer grundlegend respektvollen
Haltung begegnet. Es ist zum Beispiel Ausdruck eines achtsamen Umgangs, wenn
eine sich grenzverletzend verhaltende Person aufgrund der Reaktion eines
Jungen/Mädchens oder durch Hinweise von Dritten sich der von ihm/ihr
unbeabsichtigt verübten Grenzverletzung bewusst wird, sich entschuldigt und
darum bemüht, unbeabsichtigte Grenzverletzungen in Zukunft zu vermeiden.
grenzüberschreitende
Umgangsweisen in Institutionen (Beispiele)
- einmalige/gelegentliche Missachtung einer
(fachlich) adäquaten körperlichen Distanz (grenzüberschreitende, zu intime
körperliche Nähe und Berührungen im alltäglichen Umgang),
- gelegentliche grenzüberschreitende Tobespiele
unter Jugendlichen, die zum Beispiel zu nichtbeabsichtigten Verletzungen
führen*,
- einmalige/seltene Missachtung eines
respektvollen Umgangsstils (zum Beispiel öffentliches Bloßstellen, Verletzung
des Rechts auf das eigene Bild durch Veröffentlichung von Bildmaterial über
Handy oder im Internet, Verletzung des Rechts auf Intimität bei der
Körperpflege, Befehlston, persönlich abwertende, sexistische, rassistische
Bemerkungen),
-
einmalige/seltene Missachtung der Schamgrenzen
und sexueller Normen in unterschiedlichen Kulturen,
- einmalige/seltene Missachtung der Grenzen
zwischen den Generationen**
zum Beispiel: - sich im Kontakt mit Jugendlichen wie ein
„Dauerjugendlicher“ gebärden, - sexualisiertes Verhalten von Kindern und
Jugendlichen im Kontakt zulassen, - mit Kindern und Jugendlichen „flirten“, - Mädchen und Jungen mit besonderen Kosenamen
ansprechen („Schatz“, „Liebste“, „Süßer“),
- einmalige/seltene Missachtung der Grenzen der
professionellen Rolle**
(zum Beispiel Gespräche mit Jugendlichen über intime
Themen/das Sexualleben der professionellen Helfer/Helferinnen, Austausch von
Zärtlichkeiten, die eher einem familialen Umgang entsprechen), - einmalig/seltene Ausnutzung der eigenen
Machtposition innerhalb der Gruppe/als Mitarbeiter/Mitarbeiterin, um die
Wahrnehmung von Mädchen/Jungen in Frage zu stellen.
grenzüberschreitende/unfachliche
Interventionen**(Beispiele)
- Missachtung der körperlichen Grenzen von Mädchen
und Jungen
(zum Beispiel durch grenzüberschreitende Berührungen in der Pflege, bei
Hilfestellungen)
- Missachtung der Intimsphäre und Belastbarkeit
von Mädchen/Jungen
-
unangemessene Sanktionen,
- die persönlichen Grenzen überschreitende
Gespräche/Befragungen über Details z. B. von Gewalterfahrungen oder sexuellen
Erfahrungen,
- Stigmatisierung von Opfern (durch
Veröffentlichung von Opfererfahrungen, Festschreibung von defizitorientierten
psychiatrischen Fehldiagnosen durch Sozialarbeit /zum Beispiel: Postraumatische
Belastungsreaktionen als „Störung des Sozialverhaltens“,“ Borderlinestörung“
oder „ADHS“),
- Missachtung des Rechts von Kindern, Jugendlichen
und jungen Erwachsenen auf Schutz vor körperlichen, sexuellen und emotionalen
Übergriffen und Gewalt durch gleichaltrige und ältere Mädchen und Jungen,
- von Kindern und Jugendlichen verübte
Grenzverletzungen bagatellisieren,
- eigene Verantwortung für den Schutz von Mädchen
und Jungen bei Grenzverletzungen durch Gleichaltrige leugnen ( „Regelt das untereinander!“… Ihr sollt doch
nicht petzen/ euch gegenseitig verpfeifen!“ ).
Aufgabe von
haupt- und ehrenamtlichen Betreuungspersonen ist es, distanzlosem und
sexualisiertem Verhalten von Mädchen und
Jungen mit (professioneller) Distanz zu begegnen und das auffällige Verhalten
auf seinem Symptomcharakter hin zu verstehen bzw. klinisch abklären zu lassen.
Die aus
fachlichen und/oder persönlichen Defiziten resultierende Vernachlässigung eines
grenzachtenden Umgangs kann im pädagogischen Alltag zu einer „Kultur der
Grenzverletzungen“ führen, die in der Regel eine Verwahrlosung der
Gruppennormen innerhalb der Institution zur Folge hat. Im pädagogischen Alltag
wird ein stark ausgeprägtes grenzverletzendes Verhalten zwischen Kindern und
Jugendlichen oftmals allzu schnell auf vermeintliche persönliche Defizite
einzelner oder mehrerer Mädchen und Jungen zurückgeführt. Häufig ist ein
grenzverletzender Umgang in Schülergruppen jedoch Ausdruck eines strukturellen
und pädagogischen Defizits der Klasse/der Schule. Dies wird allein schon
dadurch deutlich, dass viele grenzverletzende Kinder und Jugendliche in anderen
Klassen/Schulen mit klaren Normen ein weitaus grenzachtenderes Verhalten zeigen
(zum Beispiel bei einem Wechsel in eine Schule/Internat, in der eindeutige
Regeln für einen grenzachtenden Umgang gelten).
Das Risiko einer „Kultur der Grenzverletzungen“ ist besonders groß, wenn
- stark autoritäre bzw. unklare Leitungsstrukturen
bestehen (vgl. Enders 2002),
- Grenzen zwischen persönlichen und beruflichen
Kontakten von Pädagoginnen/Pädagogen nicht ausreichend geachtet werden
(ebenda),
- die Achtung der Rechte von Mädchen und Jungen
auf Selbstbestimmung und Privatsphäre nicht im Rahmen von Dienstanweisungen
verschriftlicht werden,
- kein klares, schriftlich fixiertes Regelwerk
innerhalb der Institution besteht (vgl. Kroll/Meyerhoff/Sell 2003),
- ein klar strukturiertes Beschwerdemanagement und
die Partizipation von Mädchen und Jungen vernachlässigt wird.
Grenzverletzungen,
die aus fachlichen und persönlichen Defiziten einzelner Pädagogen/Pädagoginnen
resultieren, sind in vielen Fällen durch fachliche Anleitung, Fortbildung,
Supervision und klare Dienstanweisungen bezüglich eines fachlich adäquaten Umgangs
mit Nähe und Distanz korrigierbar.
Grenzüberschreitende
Umgangsweisen von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen gegenüber Kindern und
Jugendlichen sowie grenzverletzende Verhaltensweisen innerhalb der
Kinder-/Jugendgruppe, die aus einer „Kultur der Grenzverletzungen“ resultieren,
können oftmals durch die Etablierung klarer Gruppenregeln und die Aufarbeitung
konzeptioneller Defizite der Einrichtung abgestellt werden.
Übergriffe
Übergriffe
unterscheiden sich von Grenzverletzungen dadurch, dass sie nicht zufällig passieren,
nicht aus Versehen. Sie resultieren vielmehr aus persönlichen und/oder
grundlegenden fachlichen Defiziten.
Beispiel:
Es ist zum
Beispiel fachlich nicht tragbar, wenn ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin die Intimsphäre
eines Bewohners eines Jugendwohnheims verletzt, indem er/sie das Badezimmer
betritt, während der junge Erwachsene duscht, oder sich auf dessen Bett legt,
während der Bewohner Schulaufgaben macht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der
Pädagoge/die Pädagogin tatsächlich die Beziehung zu dem jungen Mann
sexualisiert oder nicht.
Sicherlich
sind nicht alle übergriffigen Handlungen im Detail geplant, doch entwickelt
sich ein übergriffiges Verhalten/übergriffige Verhaltensmuster nur, wenn
Erwachsene oder Jugendliche sich über gesellschaftliche/kulturelle Normen,
institutionelle Regeln, den Widerstand der Opfer und/oder fachliche Standards
hinwegsetzen.
Übergriffe
unterscheiden sich von unbeabsichtigten Grenzverletzungen durch:
- Missachtung der verbal oder nonverbal gezeigten
(abwehrenden) Reaktionen der Opfer,
-
Massivität und/oder Häufigkeit der
Grenzverletzungen
und/oder -
Missachtung der Kritik von Dritten an dem
grenzverletzenden Verhalten (zum Beispiel Kritik durch Jugendliche, Eltern,
Pädagogen/Pädagoginnen, Vorgesetzte, fachliche Kooperationspartner/innen),
-
unzureichende persönliche bzw. fehlende
Übernahme der Verantwortung für das eigene grenzüberschreitende Verhalten,
-
Abwertung von Opfern und/ oder
kindliche/jugendliche Zeugen/Zeuginnen, die Dritte um Hilfe bitten ( als
„Petzen“ bzw. „Hetzerei“ abwerten),
- Vorwurf des Mobbings gegenüber Kindern,
Jugendlichen und Kollegen/Kolleginnen, die Zivilcourage zeigen/ihrer
Verantwortung nachkommen und Grenzverletzungen in Institutionen als solches
benennen und sich zum Beispiel an die Leitung der Einrichtung oder externe Beratungsstellen
wenden.
Formen von Übergriffen in Institutionen
(Beispiele)
-
psychische Übergriffe
- massive/wiederholte Missachtung des Rechts auf
das eigene Bild durch Veröffentlichung von Bildmaterial über Handy oder im
Internet,
- massive/wiederholte Missachtung der Grenzen
zwischen den Generationen** (zum Beispiel sich im Kontakt mit Jugendlichen wie
ein „Dauerjugendlicher“ gebären und/oder sich bei Kindern und Jugendlichen
anbiedern),
- Mädchen und Jungen als „seelischen Mülleimer“
für eigene Probleme benutzen/missbrauchen**,
- systematische Verweigerung von Zuwendung**,
- verbale Gewalt (zum Beispiel verbale
Demütigungen bzw. abwertende, rassistische oder sexistische Abwertung der
Familie oder Freunde des Opfers),
- inadäquate – zum Beispiel – sadistische
Sanktionen auf Fehlverhalten**,
- Sanktionierung/Bloßstellen von unverschuldeten
persönlichen Defiziten (zum Beispiel Einnässen),
- Mädchen und Jungen drohen (zum Beispiel mit
persönlichen Nachteilen für das Opfer und/oder dessen Bezugspersonen, oder
durch Suggestion von Machtlosigkeit: “Dir glaubt doch sowieso niemand!“),
- Mädchen und Jungen bewusst ängstigen (zum
Beispiel durch angstmachende Rituale oder überfordernde
Spiele/Aufgabenstellungen),
- Mädchen und Jungen in Überforderungssituationen
die Unterstützung verweigern,
- Intrigen zwischen den Kindern und Jugendlichen
säen,
- Intrigen zwischen Kindern/Jugendlichen und
Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen säen,
- das Vertrauen und die Zuneigung einzelner
Mädchen und Jungen erschleichen**(zum Beispiel durch Bevorzugung, Geschenke,
Billigung von Regelverstößen: unerlaubter Alkoholkonsum, Überschreitung von
verbindlichen zeitlichen Grenzen),
- Mädchen und Jungen Geheimhaltungsgebote
auferlegen,
- Dynamik der Kindergruppe manipulieren, um eigene
Machtposition auszubauen bzw. einzelne Mädchen und Jungen zu isolieren, zu
mobben (zum Beispiel Schikanen der Gruppe, um den Widerstand eines
Mädchens/Jungens zu brechen),
- einmalig/gelegentlich die eigene Machtposition
innerhalb der Gruppe/als Mitarbeiter/Mitarbeiterin ausnutzen, um die
Wahrnehmung von Mädchen/Jungen in Frage zu stellen,
- Machtmissbrauch: die aus der Rolle als
Mitarbeiter/Mitarbeiterin resultierende Definitionsmacht nutzen, um Mädchen und
Jungen gefügig zu machen** (zum Beispiel negativer Bericht über die/den
Jugendlichen an den Kostenträger oder die Drohung der Einweisung in die
Psychiatrie bzw. dem Rauswurf aus der Einrichtung, wenn widerstandsstarke
Mädchen und Jungen auf die Einhaltung ihrer Rechte bestehen und/oder sich gegen
fachlich unqualifizierte pädagogische Interventionen wehren),
- Erpressung von Kindern/Jugendlichen und/oder
Kollegen/Kolleginnen mit Hinweis auf deren Fehlverhalten bzw. fachliche Mängel,
- systematische Festschreibung des Opferstatus von
Mädchen und Jungen, indem deren (längst bewältigte) Opfererfahrungen immer
wieder gegenüber Dritten benannt werden (zum Beispiel Detailschilderungen
gegenüber anderen Jugendlichen oder in Form von defizitorientierten Berichten
an Kooperationspartner),
o Kolleginnen und Kollegen vor oder bei Kindern
und Jugendlichen abwerten** (zum Beispiel durch – falsche – Informationen über
deren Privatleben, fachlichen Mängel oder institutionelle Konflikte).
- sexuelle Übergriffe
- ohne Körperkontakt
-
abwertende/sexistische Qualitätsurteile/Bemerkungen
über Mädchen und Jungen bzw. deren Angehörige oder Freunde/Freundinnen,
- wiederholtes Flirten der
Pädagogen/Pädagoginnen mit Mädchen und Jungen**
(zum Beispiel –
vermeintlich scherzhafte – Aufforderung zum Kuss, Mädchen/Jungen mit
besonderen Kosenamen ansprechen: „Schatz“, „Liebste“, „Süßer“),
- Sexualisierung des Kontaktes/der Gruppenatmosphäre
(zum Beispiel durch häufige anzügliche Bemerkungen und/oder unangemessene
Gespräche über Sexualität, durch sexuell eindeutige Bewegungen, Gesten
oder Mimik),
- Voyeurismus (zum Beispiel unter den Rock gucken),
- „lockerer“ Umgang der Pädagogen/Pädagoginnen mit
Pornografie, so dass diese Kindern und Jugendlichen leicht zugänglich
wird** (zum Beispiel Pornohefte auf dem Klo liegen lassen, Pornovideo im
Recorder stecken lassen),
- Reinszenierungen von sexuellen Gewalterfahrungen
nicht stoppen bzw. Berichte darüber emotional vertiefen** (zum Beispiel
durch – lüsternes – Nachfragen oder die Aufforderung an Kinder und
Jugendliche, die erlittenen Handlungen zu demonstrieren bzw.
entsprechende Websites im Internet aufzurufen und zu zeigen),
- sexuell aufreizende Kleidung von
Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen im Berufsalltag** (zum Beispiel bauchfreie
Freizeitkleidung oder Kleidung, die Genitalien abzeichnet/nicht
ausreichend bedeckt: sehr enge Hosen, sehr kurze Röcke, tiefe Ausschnitte,
transparente (Bade-)Kleidung, Shorts mit weiten Beinen),
- wiederholte Missachtung der Schamgrenzen und
sexuellen Normen in unterschiedlichen Kulturen durch verbale sexuell
getönte Grenzverletzungen,
- wiederholte Missachtung des Rechts von
Mädchen/Jungen auf Intimität bei der Körperpflege, sexistische Spielanleitungen/Anweisungen (zum
Beispiel Pfänderspiele mit Entkleiden, jugendliche Mädchen auffordern,
beim Trampolinspringen das Hemd aus der Hose zu nehmen),
- wiederholte Missachtung der Grenzen der
professionellen Rolle** (zum Beispiel Gespräche mit Jugendlichen über
intime Themen/das Sexualleben der professionellen Helfer/Helferinnen).
- mit Körperkontakt
- wiederholte Missachtung einer (fachlich) adäquaten
körperlichen Distanz (grenzüberschreitende, zu intime körperliche Nähe
und Berührungen im alltäglichen Umgang),
- gezielte/wiederholte, angeblich zufällige
Berührungen der Genitalien (zum Beispiel bei Pflegehandlungen,
Hilfestellungen, im alltäglichen Umgang),
- wiederholter Austausch von Zärtlichkeiten, die
eher einem familialen Umgang entsprechen**,
- Initiierung von Spielen, die Mädchen/Jungen auch
nicht erwünschten Körperkontakt abverlangen (zum Beispiel Forderung zu
Zärtlichkeiten bei Pfänderspielen),
- Kindern und Jugendlichen die Röcke/Hosen
runterziehen, am BH ziehen...,
Mädchen/Jungen mit sexuell getönten Bewegungen in
eine Ecke drängen und ihnen somit gegen ihren Willen zu nahe kommen.
-
körperliche Übergriffe
- wiederholte Tobespiele, in denen die Grenzen
anderer massiv verletzt werden bzw. die zu Verletzungen führen*,
- Körperkontakte, die über Tobespiele hinausgehen,
Ausdruck von Aggression sind und wehtun/ängstigen** (zum Beispiel Kopfnüsse, in
die Rippen stoßen, im Schwitzkasten halten, obgleich das Opfer Angst bekommt).
-
materielle Ausbeutung**
- Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen, um jemanden
für sich arbeiten zu lassen (zum Beispiel Betreuung der eigenen Kinder),
- Mädchen/Jungen zum „Laufburschen machen (zum
Beispiel Zigaretten holen),
- mit Blick auf die eigene Existenzsicherung das
Betreuungsverhältnis weiterlaufen lassen und dadurch die Selbständigkeit und
das Selbstwertgefühl von Mädchen und Jungen schwächen.
- Vernachlässigung**
- Vernachlässigung/Verweigerung von Fürsorge,
- Vernachlässigung/Verweigerung von Förderung,
- Vernachlässigung der Vermittlung notwendiger
therapeutischer, pädagogischer und medizinischer Hilfen.
Übergriffige
Verhaltensweisen durch Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter in Institutionen führen
häufig zu einer Kindeswohlgefährdung. Sie sind Ausdruck einer respektlosen
Haltung gegenüber Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und
grundlegender Defizite im Sozialverhalten und/oder fachlicher Mängel, die nicht
wie grenzverletzendes Verhalten allein durch Sensibilisierung und Qualifizierung
im Rahmen von Praxisanleitung, Fortbildung und Supervision korrigierbar sind.
In einigen Fällen gehören sexuelle,
psychische und körperliche Übergriffe durch Pädagogen/Pädagoginnen zur
strategischen Vorbereitung eines strafrechtlich relevanten sexuellen
Missbrauchs (siehe Anlage: „ Täterstrategien bei Missbrauch durch Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen
in Institutionen“).
In jedem Fall
ist eine sorgfältige Dokumentation von Übergriffen durch haupt- und ehrenamtliche
Pädagogen/Pädagoginnen eine unabdingbare Voraussetzung, damit ihrem
Schutzauftrag nachkommen können.
In Fällen von
Übergriffen sind Träger ihrer gesetzlichen Verpflichtung für die Sicherung des
Kindeswohls in ihren Einrichtungen verpflichtet, Konsequenzen zu ziehen und
sich zum Beispiel auch von hauptamtlichen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen zu
trennen, wenn dieser/diese ihr übergriffiges Verhalten trotz arbeitsrechtlich
relevanter Ermahnungen/Abmahnungen nicht abstellen.
Reichen pädagogische Maßnahmen nicht aus,
um übergriffiges Verhalten von Kindern und Jugendlichen zu stoppen und den
Schutz potentieller Opfer sicherzustellen, so sind übergriffige
Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen als einen möglicher Hinweis auf
eine Kindeswohlgefährdung zu werten.
Entsprechend
ihrem Schutzauftrag müssen Lehrer/Lehrerinnen in diesen Fällen aktiv werden. Es gilt, in Kooperation mit einer Beratungsstelle und/oder dem
Jugendamt notwendige Hilfen für die Opfer körperlicher, psychischer oder
sexueller Übergriffe durch Gleichaltrige und ältere Jugendliche anzubieten.
Wiederholtes
übergriffiges Verhalten weist ebenso auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung des
grenzverletzenden Jungen/Mädchens hin. Nicht selten sind übergriffige Verhaltensweisen
bei Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren ein Hinweis auf selbst erlebte
traumatische Vorerfahrungen (zum Beispiel Zeugenschaft bei häuslicher Gewalt,
häufige Beziehungsabbrüche), die es ebenso zu bearbeiten gilt wie das
grenzverletzende Verhalten. Scheuen pädagogische Fachkräfte eine sehr frühe
Kooperation mit Fachberatungsstellen und dem Jugendamt, so vernachlässigen sie
nicht nur ihre Verantwortung für den Schutz der Opfer, sondern sie nehmen dem
gewalttätigen Kind/dem Jugendlichen die Chance, ihre gewalttätigen Verhaltensmuster
zu überwinden bzw. eigene Opfererfahrungen zu bearbeiten.
Wiederholt
übergriffigem Verhalten junger Erwachsener und Jugendlicher ab dem 14. Lebensjahr
sind konsequent Grenzen zu setzen – zum Beispiel durch (befristeten) Ausschluss
aus der Einrichtung bei gleichzeitiger Vermittlung von therapeutischen Hilfen
für junge Täter. Spezialberatungsstellen für junge Täter/Täterinnen klagen
immer wieder darüber, dass viele ihrer Klienten – wenn überhaupt – viel zu spät
an sie vermittelt werden – oft erst im späten Jugendalter, wenn sich zum Beispiel
sexuell grenzverletzende Verhaltensstrukturen bereits verfestigt haben.
strafrechtlich relevante Gewalthandlungen
Innerhalb von
Schule und Jugendhilfe liegen strafrechtlich relevanten Formen der Gewalt vor
bei:
- Körperverletzung
- sexuellem
Missbrauch/sexueller Nötigung
- Erpressung
Strafmündigkeit beginnt mit 14 Jahren.
Während
eindeutige Formen der körperlichen Gewalt von pädagogischen Fachkräften und
Laien in der Regel als solches erkannt und benannt werden, besteht im
Schulbereich ebenso wie in der breiten Öffentlichkeit häufig ein
Informationsdefizit bezüglich der gesetzlichen Regelungen zu strafrechtlich
relevanten Formen sexueller Gewalt.
Das
Strafgesetzbuch definiert als Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
nicht nur den Missbrauch von Kindern (§ 176 StGB), sondern ebenso den
Missbrauch von Jugendlichen (§182 StGB) und Schutzbefohlenen (§ 174 StGB).
Ebenso stehen exhibitionistische Handlungen (§ 183 StGB), die Förderung
sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 StGB) und das Ausstellen, die
Herstellung, das Anbieten und der Eigenbesitz kinderpornografischer Produkte (§
184 StGB) unter Strafe.
S eit dem 01.04.2004 hat der
Gesetzgeber auch den sexuellen Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt unter
Strafe gestellt – zum Beispiel wenn ein Erwachsener oder Jugendlicher (ab 14
Jahren):
- auf
ein Kind zum Beispiel im Chat oder per Handy einwirkt, um es zu sexuellen
Handlungen zu bewegen,
- sich
über Email mit einem Kind zu sexuellen Handlungen verabredet,
- einem
Kind pornografische Handlungen oder Bilder zeigt, damit das Kind die gesehenen
Handlungen wiederholt,
- Kinder
(im Internet) zum Missbrauch anbietet – auch wenn es sich „nur“ um einen
„schlechten Scherz" handelt.
Mit dieser Gesetzesnovellierung hat
der Gesetzgeber umfassende gesetzliche Regelungen gegen die sexuelle Ausbeutung
von Mädchen und Jungen in den neuen Medien geschaffen und deutlich gemacht,
dass es keineswegs ein Kavaliersdelikt ist, wenn ein 15-Jähriger ein
12-jährigres Mädchen im Chat auffordert sich zu befriedigen. Überredet er das
Kind, dies vor der Webcam zu tun, so stellt er ein kinderpornografisches
Produkt her – eine Straftat die gegen § 184 StGB verstößt.
Auf strafrechtlich relevante Formen
der Gewalt durch Pädagogen/Pädagoginnen und strafmündige Jugendliche sollte von
Seiten der Institution mit einer Strafanzeige reagiert werden – sofern die
Opfer psychisch in der Lage sind, die Belastungen als Zeuginnen/Zeugen im
Strafverfahren durchzustehen. Wird keine Strafanzeige erstattet, so erfolgt
keine Korrektur der verletzten Norm. Beziehen betroffene Institutionen nicht
eindeutig Stellung, so verlieren sie im Laufe der Zeit fast immer einen großen
Teil ihrer kindlichen und jugendlichen Nutzer/Nutzerinnen – spätestens wenn
deren Eltern über Dritte von den Gewaltdelikten erfahren und ihren Töchtern und
Söhnen den weiteren Besuch der Einrichtung untersagen. Zahlreiche
Praxisbeispiele belegen zudem, dass in Institutionen, die keine Strafanzeige
erstatten bzw. nicht mindestens umgehend dafür Sorge tragen, dass der Täter/die
Täterin die Institution verlässt, langfristig Gewaltdelikte in den eigenen
Reihen (massiv) zunehmen.
Zur Verantwortung bei Strafanzeigen
Die Entscheidung für eine Strafanzeige bei einer begründeten Vermutung
von Gewalthandlungen in Institutionen sollte unabhängig vom verbal geäußerten
Willen möglicher Opfer getroffen werden. Viele von Gewalt betroffene Mädchen
und Jungen haben zunächst Angst, durch die Erstattung einer Strafanzeige den
Täter/die Täterin zu verraten. Nicht wenige Opfer wehren sich deshalb zu Recht,
die Verantwortung für eine Strafanzeige zu übernehmen. Sie sind jedoch vielfach
erleichtert, wenn Dritte die „Verantwortung“ für diesen Schritt tragen und
machen mit zeitlichem Abstand eine detaillierte polizeiliche Aussage. Zudem
haben Opfer zu jedem Zeitpunkt des laufenden Verfahrens die Möglichkeit einer
Aussageverweigerung.
Die betroffene Institution sollte jedoch sicherstellen, dass die Opfer
von Gewalt nicht innerhalb der Institution öffentlich geoutet und somit „erneut
bloßgestellt“ und zum Mobbing freigegeben werden, In jedem Fall ist
sicherzustellen, dass in jedem Fall:
- Opfer bei Strafanzeige im Rahmen
einer Nebenklage anwaltlich vertreten werden,
- kindliche/jugendliche Zeugen/Zeuginnen
schon zu Beginn des Verfahren einen anwaltlichen Zeugenbeistand bekommen und
- Opfer als auch kindliche/Jugendliche
Zeuginnen Beratung und Prozessbegleitung durch eine Beratungsstelle bekommen.
die nicht in Trägerschaft der betroffenen Institution ist.
© Enders/Kossatz/Kelkel/Eberhardt 2010
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