Für Täter und Täterinnen sind die Eltern die Menschen, die ihnen am
ehesten gefährlich werden können. Deshalb gehen sie in der Regel sehr
strategisch vor, damit vor allem die Mütter und Väter ihrer Opfer die sexuelle
Ausbeutung ihrer Töchter und Söhne nicht merken (können).
- Täter und Täterinnen sind „Künstler der Manipulation“, die Menschen täuschen
können. Gezielt vernebeln sie die Wahrnehmung der Umwelt. Sie präsentieren sich
zum Beispiel als angesehene Bürger, „Moralapostel“ oder engagierte
Pädagogen/Kinderschützer. Vor allem bei den Eltern ihrer potenziellen Opfer
versuchen viele Täter und Täterinnen, einen guten Eindruck zu machen. Diese
sollen ihnen eine solche Tat nicht zutrauen, selbst wenn das Opfer Hinweise auf
die sexuelle Ausbeutung gibt. Aus Berechnung nehmen viele Missbraucher schon vor
Beginn der sexuellen Ausbeutung persönlichen Kontakt zu den Eltern potenzieller
Opfer auf und freunden sich mit diesen an. Sie zeigen sich zum Beispiel als
hilfsbereite Nachbarn. Schätzen die Eltern den Täter/die Täterin, so ist es für
betroffene Mädchen und Jungen besonders schwer, sich Dritten anzuvertrauen. Aus
Kindersicht scheint mit der Beschuldigung des Täters/der Täterin gleichzeitig
eine Beschuldigung der Eltern gegeben zu sein, denn diese haben sich "blenden"
lassen.
- In jeder Familie hängt mal der Haussegen schief. Auch gibt es keine Mutter
und keinen Vater, die/der nicht im Umgang mit dem eigenen Kind mal das
Verständnis oder die Nerven verliert. Sehr systematisch beobachten Täter und
Täterinnen, welche Mütter und Väter persönlichen Unzulänglichkeiten im Umgang
mit ihren Söhnen und Töchtern haben und was ein Kind in seinem Elternhaus
vermisst. Dieses Wissen nutzen sie, um ihre Opfer zu verführen und zu erpressen
und somit deren Schweigen gegenüber den Eltern zu sichern.
- Insbesondere bei Tätern (Täterinnen) aus pädagogischen Arbeitsfeldern ist
auffällig, dass nicht wenige von ihnen als besonders engagiert und kinderlieb
gelten. Oftmals bieten sie den nichts ahnenden Müttern und Vätern eine besondere
Förderung der Kinder an. Lehnen Mädchen und Jungen diese ab, so werfen ihre
Eltern ihnen häufig Undankbarkeit vor.
- Andere Täter und Täterinnen wählen die Masche des „arme Schluffen“ oder
„Kindskopp“, den man nicht ernst nimmt, jedoch als kinderlieb einschätzt. Viele
Eltern erwarten von ihren Kindern einen „fairen Umgang mit so armen Menschen“.
Die fehlende Information darüber, dass dies eine häufige Täterstratgeie ist,
führt dazu. dass Mütter und Väter die wichtige Regel missachten, dass jemand,
den Erwachsene nicht ernst nehmen (können), niemals für die Betreuung von
Kindern geeignet ist.
- Vor allem Täterinnen präsentieren sich nicht selten als „das arme Opfer“,
das vom Leben und insbesondere von Männern benachteiligt wird. Damit lenken sie
von den von ihnen verübten Verbrechen ab und erreichen, dass Eltern oftmals
schnell ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie sich selbst bei einem
negativen Gedanken über eine Täterin ertappen. Meist trauen Mütter und Väter
ihrem gesunden Misstrauen nicht und denken den Gedanken nicht zu Ende
...
- Viele Mädchen und Jungen entwickeln als Folge der sexuelle Ausbeutung
Verhaltensauffälligkeiten. Täter und Täterinnen nutzen ihre Beziehung zu den
Eltern ihrer Opfer, um sich selbst als „Berater“/“Beraterin“ im Umgang mit den
Verhaltensauffälligkeiten der Kinder anzubieten. Systematisch versuchen sie, im
Kontakt mit Müttern und Vätern das Aufkommen eines Verdacht des sexuellen
Missbrauchs zu zerstreuen, und reden den Eltern andere Erklärungen als Ursache
für die Probleme ihrer Töchter und Söhne ein. Häufig sollen diese angeblich im
Elternhaus des Kindes begründet sein.
- Viele Mütter und Väter beobachten, dass jemand etwas macht, das ihnen
komisch oder aufdringlich vorkommt. Sie wundern sich z.B. darüber, dass ein
Erwachsener sich auf eine ungewöhnliche Art und Weise engagiert und seine
gesamte Freizeit mit Kindern verbringt. Manchmal haben sie sogar die Vermutung
eines sexuellen Missbrauchs. Diese sprechen sie jedoch nicht aus, da sie
niemanden zu Unrecht verdächtigen wollen.
- Einige Täter und Täterinnen verhalten sich "dumm dreist": Sie flirten mit
Kindern in aller Öffentlichkeit und sind auch Erwachsenen gegenüber sexuell
grenzverletzend. Viele Mütter und Väter können sich nicht vorstellen, dass dies
eine typische Masche von Tätern sein kann, um die Wahrnehmung der Umwelt zu
vernebeln. Viele Eltern glauben fälschlicherweise, dass "wirkliche Täter" sich
niemals so offensichtlich grenzverletzend verhalten würden. Oftmals schieben sie
ebenso wie fast alle anderen Erwachsenen die Hinweise ihrer Kinder mit der
Bemerkung zur Seite: "Der meint das nicht so, der ist doch zu allen Leuten
so."
- Missbrauchende (Stief-)Väter versuchen fast immer systematisch einen Keil in
der Beziehung des Kindes zu Mutter zu schlagen, damit das Mädchen/der Junge sich
dieser nicht anvertrauen kann. Dies tun sie, indem sie zum Beispiel:
- die Erziehungskompetenz der Mutter in Frage stellen/unterwandern,
- die Mutter als Person vor dem Kind abwerten,
- die Mutter als Frau abwerten und das Mädchen als „ideale Partnerin“
aufwerten
- dem Kind einreden, die Mama hätte kein Verständnis für ihn/das Mädchen/den
Jungen,
- die Grenzen zwischen den Generationen verwischen und das Kind wie eine/einen
Erwachsenen behandeln,
- von das Kind bevorzugen und mit Geschenken und der Gewährung besonderer
Rechte erpressen.
Es ist oftmals ein langer Weg, bis betroffene Mütter und Väter sich
selbst verzeihen können, dass sie den Missbrauch am eigenen Kind nicht früher
bemerkt haben. Für viele Eltern ist die Auseinandersetzung mit den Strategien
der Täter und Täterinnen ein erster Schritt der Verarbeitung. Auf diesem sehr
schmerzhaften Weg werden Eltern unweigerlich mit ihren eigenen
Unzulänglichkeiten konfrontiert, denn diese nutzten die Täter und Täterinnen
aus, um mit viel krimineller Energie das Schweigen der Opfer gegenüber ihren
Müttern und Vätern zu sichern. Haben Eltern den Mut, die Kraft und die
menschliche Größe, sich dieser Auseinandersetzung in aller Offenheit zu stellen,
so besitzen sie einen wichtigen „Schlüssel“, um mit ihren Kindern gemeinsam die
Gewalterfahrungen zu verarbeiten. Das Gespräch über die von Tätern/Täterinnen
ausgenutzten Alltäglichkeiten lässt die mit diesen verknüpften Drohungen
verblassen. Für die Opfer ist es oftmals eine wichtige Voraussetzungen, um
Ängste abzubauen, anderen Menschen Vertrauen schenken und die erlebten
Missbrauchshandlungen verarbeiten zu können.
© Zartbitter Köln:
Ursula Enders 2004
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